Die Digitalisierung der Kindheit
„Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein riesiger Sprung für die Menschheit.“ Neil Armstrong
Wer den Mond betrachtet, denkt noch immer wie ein Romantiker. Das silbrige Licht verzaubert, weckt Sehnsucht und Wehmut. Vor 50 Jahren landete der erste Mensch auf dem Mond. Dieser kleine Schritt für einen einzelnen Menschen zog einen riesigen Sprung für die Menschheit nach sich. Doch worin besteht dieser große Fortschritt eigentlich? Sind uns Mondspaziergänge heute näher als damals? Sehen wir die Welt mit den Augen eines Astronauten: als den wunderschönen blauen Planeten, der unsere einzige Heimat ist? Wie hat die Mondlandung am 21. Juli 1969 unser tägliches Leben verändert?
„Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein riesiger Sprung für die Menschheit.“
- Neil Armstrong
2019 haben rund 97 Prozent der 14- bis 19-jährigen Personen in Deutschland ein Smartphone in der Hosentasche stecken. Das aktuelle iPhone hat die millionenfache Rechenleistung des Computers, der die Apollo 11 zum Mond steuerte. Die ungeheure Entwicklung, die John F. Kennedy mit seiner Vision angestoßen hat, wurde durch die gezielte Förderung der Universitäten und der Halbleiter-Industrie zum Startschuss für die Informations-Technologie. Unser digitales Zeitalter wurde im Space Race des kalten Krieges geboren.
Der Mond ist uns und unseren Kindern ziemlich Schnuppe. Aber ohne Internet und Computer Chips kann und will heute niemand mehr leben. Während ich diese Zeilen schreibe, sitzen meine drei Jungs vor ihren iPads. Fantastisch tolle Geräte: Spielkonsole, Fernseher, Bibliothek und Kommunikationszentrale in einem! Mein Kleinster, 4 Jahre alt, bedient Tablet und Smartphone souverän. Er wischt, fotografiert und hört ganz selbstverständlich Musik. Die YouTube-App kennt er natürlich auch. Ich habe ihm das nie beigebracht. Er hat es sich von den großen Brüdern abgeschaut.
In meiner Kindheit gab es so ein Gerät nicht. Wir hatten einen alten schwarz-weiß Röhrenfernseher, der vor der Tagesschau regelmäßig ausblieb. Wir durften höchstens mal Löwenzahn schauen, und Peter Lustig ermahnte uns dann immer schön abzuschalten, nach einer halben Stunde Bildungsfernsehen. Gestern eröffnete mir mein Ältester, ich würde ihm seine Kindheit zerstören, weil ich YouTube auf seinem iPad gesperrt habe. Bin ich also reaktionär? Helikopter-Papi? Können die Kinder nicht mit und durch die digitalen Medien so ungeheuer viel lernen? Müssen sie nicht sogar damit umgehen, um später im Leben nicht abgehängt zu werden?
Natürlich kenne ich das Gefühl aus meiner eigenen Schulzeit: Meine Freunde hatten einen Atari oder Commodore und später einen Gameboy und ich selbst hatte nichts dergleichen. Das tut weh! Gruppenzwang auf der einen Seite, Mobbing – dieses Wort gab es in meiner Kindheit nicht – auf der anderen. Also mache ich jetzt meinem Kind das Leben zur Hölle, aus Rache, weil ich selbst so viel entbehrt habe? Könnte man meinen. Tiefenpsychologie.
Ich habe Medientechnik studiert. Mich haben Ende der 90er Jahre die neuen Medien fasziniert, vor allem das Fernsehen. Als Student habe ich dann auch mehr Zeit vor Fernseher und Computer verbracht – damals waren es noch zwei getrennte Geräte – als dem Studium und vor allem dem Studentenleben gutgetan hätte. Ich bin ein Fan aller Medien und habe in den verschiedenen Bereichen die Digitalisierung mit durchlitten. Von dem umständlichen Prozess des Offset-Drucks hin zum Digitaldruck – personalisierbar, billiger und schneller. Vom analogen Videoschnitt hin zum kompletten bandlosen, digitalen Workflow in HD. Vom analogen Modem hin zu Glasfaser und mobilen Breitband-Datennetzen. Vom ersten Handy zum Smartphone. Früher war nicht alles besser. Der Fortschritt der Technik ist atemberaubend und ich bin und bleibe fortschrittsgläubig.
Gleichzeitig erlebe ich aber auch eine Abhängigkeit von Hardware, Software und immer stärker von den großen Digitalkonzernen. Ich bin nicht mehr frei. Es geht schon lange nicht mehr um die Funktion, sondern nur noch darum, immer neue Dienstleistungen und Geräte zu verkaufen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen will den Kindern nicht mehr das „Abschalten“ beibringen, sondern das „Dranbleiben“. Alle rennen in dem gleichen Hamsterrad. Immer weiter, immer schneller, immer – ja was? Immer unfreier!
Das beginnt jetzt schon in der Grundschule. Mein Sohn hatte das Glück, dass ein junger Lehrer dort eine Computer-AG anbieten konnte. Klar, dass er hinging. Für mich war selbstverständlich, dass die Kinder dort programmieren lernen sollten. Nicht das Anwenden oder Bedienen einer Maschine, sondern das Entwickeln von Maschinen, die einem selbst dienen, müsste den Kindern vermittelt werden. Ich besuchte sogar eine Fortbildung: „Programmieren mit Kindern!“ und bot der Schule meine Expertise an. Doch zu meinem Erstaunen und Entsetzen wurde nur die Anwendung von Microsoft Office geübt.
Aber aus Datenschutzgründen durften die Kinder nicht mit Google suchen, sondern sollten mit der „blinden Kuh“ das Internet durchsuchen. Beides, aus meiner Sicht, völlig weltfremd. Für mich Auslöser ein Buch zu schreiben. Wie können wir unsere Kinder zu freien Menschen erziehen, die lernen, Werkzeuge sinnvoll zu nutzen und sich nicht den großen Fünf zu unterwerfen? Wie können Kinder angeregt werden, wieder selbst zu denken und nicht mehr Gefangene von Datenkraken auf der einen und Datenschützern auf der anderen Seite zu werden? Kann es für unsere kommenden Generationen noch ein selbstbestimmtes Leben geben?
Belohnung – der Tod der Begeisterung
Kinder lernen aus Begeisterung am besten. Sie brauchen keine Belohnung. Wenn sie etwas schaffen, das sie sich in den Kopf gesetzt haben, dann ist ihr eigener Erfolg für sie die größte Belohnung. Wenn die Kinder nur wegen einer versprochenen Belohnung etwas tun, so schwindet jede Motivation. Ihre Motivation wird somit zur Ware. Je mehr man ihnen bietet, umso bereitwilliger gehorchen sie.
Dieses Prinzip bedienen die meisten online Spiele von heute perfekt. Die Kinder werden zu Klick-, Wisch-, Touch-Robotern ausgebildet, die die dümmsten Aufgaben erfüllen, um virtuelle Punkte, Herzen oder Gummibärchen zu sammeln. Die Eltern und die Schule haben dieses Prinzip willfährig übernommen. Payback, also Punktesammeln, wird so schon im Kindergarten trainiert.
Zurück zu meiner Kindheit. Als wir unseren ersten Computer bekamen, war ich schon fast volljährig. Ich wollte eine Aufgabe lösen, z.B. einen Brief schreiben oder eine Geburtstags-Einladung gestalten. Da habe ich solange dran getüftelt, bis es mir gelang. Auch bei den wenigen Spielen, die ich nach und nach installierte, musste man dranbleiben. Immer wieder von vorne oder dem letzten Speicherstand beginnen. Da konnte man im Internet noch nicht nach dem Lösungsweg suchen oder sich Superkräfte mittels In-App-Käufen zulegen. Heute ist alles kaufbar. Kinder verlieren zunehmend ihre angeborene Problemlösungskompetenz und entwickeln sich mehr und mehr zu Quengelzonenverwaltern. Die Eltern werden solange unter Druck gesetzt, bis sie eben das Objekt der Begierde in den Einkaufswagen legen.
Wenn ich in der U-Bahn andere Jugendliche beobachte, wie sie sich durch Facebook-Profile und Whatsapp-Chats wischen, dort ein Like hinterlassen und hier Smileys und Herzen verschicken, dann wird mir Angst und Bange. Sie alle haben ein Gerät in der Hand, mit dem sie millionenfach zum Mond fliegen könnten, doch wofür nutzen sie es? Wissen sie überhaupt über die Macht in ihren Fingern und die beinahe unbegrenzten Möglichkeiten, aber auch Gefahren dieser Macht? Die Digitalisierung, wie ich sie erlebe, führt leider zu Bequemlichkeit und dient nur dem Zeitvertreib. Was aber so dringend notwendig wäre für unsere Kinder sind Langeweile und Hindernisse.
Eine Digitalisierung der Kindheit findet aber nicht nur durch Smartphones und Tablets statt. Sie erfolgt auch zunehmend durch die Schwarz-Weiß-Malerei der Politik und Medien. Wie Computer denken immer mehr Menschen im binären System. Gut und Böse. 1 und 0. Gerade Kinder suchen Orientierung, die Vielfalt der Informationen und Reize, die auf sie einprasseln, müssen sortiert werden. Aber im Unterschied zum Computer, der immer nach dem Algorithmus „if-else“ (wenn-dann) verarbeitet, können Menschen mit dem Paradox „sowohl-als auch“ gut umgehen.
Obwohl ich kein Philosophiestudium vorweisen kann, sondern nur Ingenieur der Medientechnik bin, möchte ich dies allen Eltern zum Trost sagen: Die Digitalisierung aller möglichen Lebensbereiche ist nicht aufzuhalten und bringt viele Vorteile mit sich. Aber die Digitalisierung unserer Denkmuster müssen wir mit allen Mitteln zu verhindern suchen. In meinen schlimmsten Alpträumen sehe ich uns alle als Halbleiterbauteile auf einer Platine festgelötet. Wenn Spannung anliegt, leiten wir alle den Mainstream durch. Wechselt der Schaltstrom, ändern wir auch unsere Meinung nach Belieben.
Die Gehirne unserer Kinder sind schon jetzt einer andauernden Manipulation unterworfen. Die Wirtschaft bedient sich der Werbung, Parteien machen Propaganda, die Medien lassen sich zu leicht vor beide Karren spannen. Die Kinder werden mit Worthülsen bombardiert und streuen diese weiter über ihre Altersgenossen. Wie können wir Eltern die Kinder ermutigen, den Inhalt der Phrasen zu hinterfragen? Erschwerend kommt hinzu, dass die Werbung ganz gezielt die Gefühle der Kinder anspricht und somit am Verstand vorbei ihre Botschaft platziert. Auch die Beeinflussung durch Influencer erfolgt unbewusst. Aber die Kinder nehmen alles auf und kopieren ihre Idole ganz selbstverständlich. Und plötzlich tragen alle weiße Sneaker!
Von Gutenberg zu Guttenberg
Der crowdgemachte Skandal um die Doktorarbeiten vieler Politiker, vor allem die lange Diskussion um die Arbeit des ehemaligen Bundesministers Karl-Theodor zu Guttenberg hat uns die Dilemmata einer zunehmend digitalen Gesellschaft vor Augen geführt. Kopieren ist zum Volkssport geworden. Bequemlichkeit auf der einen und die einfache Bedienbarkeit von „Copy & Paste“ auf der anderen Seite. Ob Schularbeit oder Dissertation, ob Mode oder Musikgeschmack, heute lässt sich alles kopieren.
Was dabei aber schnell vergessen wird, ist die Wertschätzung eigener Arbeit und Meinung. Das Kopieren um des Kopieren Willens macht aus jedem Individuum einen charakterlosen Konsumenten. Der Mensch verliert seine Seele. Als Johannes Gutenberg um 1400 den Buchdruck erfand und ein Massenmedium ermöglichte, diente dies zuallererst der Aufklärung der Menschen. Von nun an war jeder in der Lage, Wissen aus Büchern zu erlangen.
Unsere Kinder wollen nicht mehr lesen. Sie geben sich mit Tweets und anderen Bruchstücken zufrieden. Die Volltextsuche ersetzt das Lesen und Verstehen eines längeren Textes. Das Ergebnis aber sind jede Menge Missverständnisse, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate und am Ende das pure Gegenteil von Aufklärung. Es entstehen Verschwörungstheorien. Was hier digital mit Texten geschieht, erinnert mich fatal an den Corona-PCR-Test, der nur nach ein paar wenigen Gensequenzen sucht und damit das komplette und infektiöse Virus SARS-CoV-2 vermutet. Wir müssen den Mensch wieder ganzheitlich betrachten. Er ist mehr als die Summe seiner Zellen und Körperflüssigkeiten.
Jeder kennt sogenannte Suchmaschinen, mittlerweile sind sie mit jedem Browser fest verwachsen. Musste man früher noch umständlich WWW-Adressen in die Maske eingeben, so reichen jetzt Suchbegriffe oder eine Frage. Manchmal schleichen sich auch Suchmaschinen ein, die man gar nicht haben wollte. Wer hier nach Textfragmenten sucht und nur die Überschriften oder Antwort-Schnipsel liest, bekommt schnell einen falschen Eindruck von der Wirklichkeit. Kinder noch verstärkt, da ihnen Lebenserfahrung fehlt, um diese Antworten richtig einzuordnen.
In der Grundschule hat mein Sohn mit seiner Klasse nach dem „teuersten Auto der Welt“ gesucht. Seine Wahrheit lautet: Ein Ferrari kostet 34 Millionen Euro! Meine Recherchen für diesen Artikel haben ergeben, dass laut der Suchmaschine fragFINN die von Schulen gerne eingesetzt wird, Lionell Messi angeblich einen 1957er Ferrari 335 S Spider Scaglietti für 32,1 Millionen Euro gekauft hat. Die Überschrift enthält ein Fragezeichen und der Text bezieht sich auf sogenannte Medienberichte.
Google gibt gleich ein schönes Ranking aus. Dort ist das teuerste Auto der Welt ein Lamborghini Veneno Roadster für 3,3 Millionen Euro. Quelle ist hier der Autoverleiher Sixt, dessen Absicht hinter dem Artikel auch eindeutig ist. Luxusauto mieten. Klick. Sehr einfaches und gutes Suchmaschinenmarketing. Es beginnt mit den natürlichen Fragen der Kinder. Messi hat aktuell die Nase vorn, aber Sixt holt auf. Garantiert.
Die Algorithmen der Social-Media-Plattformen und der Suchmaschinen sind darauf programmiert, die Massen zu locken und in Klicks und Verweildauer zu messen. Es geht allein ums Geld, sehr viel Geld. Niemals um Aufklärung. Das Internet lebt vom Prinzip des Boulevards. Die dickste Überschrift, mit dem skandalösesten Inhalt wird belohnt. Eine sachliche und differenzierte Betrachtung ist nicht vorgesehen. Sie wird in die Nischen gedrängt. Kinder wollen aber immer Teil einer möglichst großen Gemeinschaft sein, beziehen ihr Selbstwertgefühl aus dem Dazugehören.
In den letzten Jahren habe ich verschiedene Trends durch meine Söhne erlebt. Wie Wellen breiten sich diese aus, erleben einen Höhepunkt und ebben wieder ab. Aber sie werden immer extremer und kürzer. In der Grundschule waren es die Fidget Spinner und Ninjago, kurz auch mal zur Fußball-WM/EM Panini-Sticker. Dann war Subway Surfers angesagt und später Brawl Stars oder Fortnite. Es gibt kein Entkommen.
Eigentlich wären solche Moden ja wünschenswert, geben sie den Kindern doch ein gemeinsames Gesprächsthema und sie fühlen sich einander verbunden. Aber durch die Vielzahl der Angebote und die Überhöhung einzelner zur absoluten Wahrheit entsteht bei vielen Kindern eine Orientierungslosigkeit. Selbstbewusst und zielstrebig werden sie aber nur, wenn sie etwas aus freiem Willen und in Liebe machen dürfen.
Seit den 80er Jahren hat sich das Leben rasant verändert. Ich bin noch überwiegend analog und offline aufgewachsen. Meine Kinder aber leben auf dem Mond. Wir können uns das nicht vorstellen, aber während wir „Alten“ in unserer realen Welt einen kleinen Schritt machen, fliegen sie siebenmal so weit durch den virtuellen Raum. Während wir einen Werbespot wahrnehmen, haben sie schon sieben weitere gesehen. Kein Wunder, dass sie gleichzeitig über- und unterfordert sind. Wir Eltern können im Cyberspace nicht Schritt halten, aber der Körper und der Geist unseres Nachwuchses ist auch nur von dieser Welt. So geht den Kindern schnell die Puste aus.
Algorithmen – die Versuchung der Daten
Die Digitalisierung stellt eine radikale Reduktion dar, alles wird auf 1 und 0 heruntergebrochen. Um aber dennoch die unerschöpfliche Gestalt und Wahrnehmung unserer analogen Natur abzubilden, geht die Digitalisierung mit einer ungeheuren Beschleunigung einher. Die Computer verdoppeln alle paar Jahre ihre Leistung und Speicherkapazität. Kinder versuchen instinktiv auf diesen Zug aufzuspringen, für sie zählt immer nur das Neueste. Das alte, vergangene ist für sie keine Realität, da sie es nicht (bewusst) erlebt haben. Erst sehr viel später entdecken sie vielleicht, dass man auch aus der Geschichte lernen kann.
Eine der ältesten Geschichten der Menschheit ist die Heilige Schrift. Die Erzählung der Liebesbeziehung zwischen Gott und den Menschen. Unsere Kinder kennen alle McDonalds und den CocaCola-Weihnachtsmann, aber wie viele waren schon einmal in einem Gotteshaus? Die Tempel unserer Zeit sind dem Konsum geweiht, und so verwundert es nicht, dass sich unsere Kinder ausschließlich über den Besitz materieller Güter definieren. An die Stelle der Sinnsuche oder der göttlichen Fügung tritt die Datengläubigkeit. Alles kann errechnet werden.
„Algorithmen sind für die digitalisierte Welt das, was für den Gläubigen die Hand Gottes ist: Sie leiten unser Schicksal.“
- Dirk Peitz, Journalist
Die Kinder wachsen in ihrer Social-Media- und Gaming-Blase auf, wie Adam und Eva im Paradies. Der göttliche Algorithmus hält die Schlange fern, er tut alles, um die Kinder in ihren Vorlieben einzubetten und ihre Wünsche nach den Bedürfnissen der Wirtschaft auszurichten. Ich will hier nicht die Flucht der Kinder vor der Wirklichkeit verteufeln. Die sei ihnen gegönnt, auch ich habe mich in Karl Mays Wilden Westen geflüchtet oder bin in der Fantasie um die Welt gereist. Die Frage ist, wer diese kindlichen Ausflüge lenkt und mit welcher Absicht? Oder wo Abwechslung und Vielfalt die noch formbaren Geister weiten kann. Wo ihnen echte Begegnungen mit der falschen Schlange ermöglicht werden. Wo ihnen die Erkenntnis zufällt, dass sie nackt sind.
Die künstliche Intelligenz wird für unsere Kinder Gott gleich sein. Aber es ist noch nicht ausgemacht, ob dies eine Gefahr oder eine Chance darstellt. Entscheidend wird sein, in welchem Geiste die Algorithmen programmiert werden und welche Schranken man ihnen auferlegen wird. Dafür brauchen wir Menschen, die Freigeister und Querdenker sind. Die nächsten Generationen müssen Antworten auf Fragen finden, die der Menschheit noch niemals zuvor gestellt wurden. Das Leben auf dem Mond ist ein völlig anderes als das auf der Erde. Darum sind die kreativen Fächer in der Schule so wichtig. Wir dürfen unsere Kinder nicht zu funktionierenden Maschinen erziehen, sondern sollten ihnen menschliche Fähigkeiten vermitteln: Kunst, Musik, Sport.
Vielleicht kann man es so ausdrücken. Zwischen 1 und 0 ist kein Platz für eine Seele. Aber wir und ganz besonders unsere Kinder sind beseelte Wesen, ihnen gehört das Himmelreich. Wir als Gesellschaft dürfen nicht aufhören unseren Kindern solche Erfahrungen zu ermöglichen: analoge, menschliche, begeisternde aber auch traurige, erschreckende, belanglose Begegnungen. Langeweile, Müßiggang, Tagträume sind genauso wichtig wie Studium und Training, vielleicht sogar wichtiger!
Die blaue oder die rote Pille?
Die Technik ist tot. Unsere Mediennutzung meist passiv. Ein großer Gewinn, gerade für unsere Kinder, könnte die Umkehr sein: selbst aktiv zu werden. Nicht nur zu konsumieren, sondern auch zu erschaffen. Das hat gleich mehrere Vorteile. Als erstes: „Learning by Doing“. Indem ich etwas selbst mache, lerne ich es zu verstehen. So könnten die Kinder versuchen einen Werbespot oder ein Werbeplakat zu machen, um ein Produkt oder eine Dienstleistung zu verkaufen. Sie könnten Dinge „tunen“, um sie lebendiger zu machen. Oder sie programmieren etwas.
Mittlerweile weiß ich, dass ich mit Hilfe eines Computers und des Internets fast alle Aufgaben bewältigen kann. Aber ich muss mich hüten vor werblichen Lösungsversprechen und vorschnell eingekauften Dienstleistungen. Meist zahlt man dabei Lehrgeld. Mein größter Kritikpunkt ist die Kostenlos-Mentalität im Internet, denn sie verhindert ehrliche und unabhängige Produkte. Gleichzeitig machen wir unsere Daten zur Währung. Und legen uns selbst Fesseln an, die wir nicht sehen und nicht spüren, die uns aber umso stärker ans System binden. Auf der anderen Seite unterstützt dieses System auch Trittbrettfahrer, die marktschreierisch eigentlich kostenlose Produkte oder Dienste verkaufen wollen. So bleibt der Ritt auf der Welle selbst für Profis unberechenbar. Haie lauern überall.
Die digitale Gesellschaft zielt überwiegend auf unseren Konsum. Die Werbung und der Mainstream setzen jeden von uns täglich 24 Stunden unter Druck, ganz besonders unsere Kinder. Kauf jenes, nimm das, gewöhn dich dran. Wir sind heute schon in der Lage rein virtuell zu leben und zu arbeiten. Ich muss meinen Bildschirmarbeitsplatz nicht mehr verlassen, alles wird geliefert. Mit einer VR-Brille gehe ich auf dem Mond spazieren und treffe meine Freunde im Videochat. Schöne neue Welt. Die Matrix lässt grüßen.
Dabei war die Verheißung des Neulands Internet eine ganz andere. Der Mythos um Hacker und Whistleblower versprach eine freiere und gerechtere digitale Welt. Der Werbespot zur Einführung des Apple MacIntosh 1984 steht dafür exemplarisch und markiert einen Wendepunkt. Vielleicht bleibt uns 50 Jahre nach der Erfindung des Internets nur noch diese letzte Option: Mit einem großen Hammer den Bildschirm zu zerschlagen, um der Sklaverei zu entkommen. Oder es gelingt uns allen die Digitalisierung neu zu denken – für unsere Kinder und kommende Generationen.
Ein Vorschlag kommt von einem der Erfinder des Internets: Sir Tim Berners-Lee. Sein Vertrag für das Web (Contract for the Web) verlangt von Regierungen, Unternehmen und Einzelpersonen, konkrete Verpflichtungen einzugehen, um das Web vor Missbrauch zu schützen und sicherzustellen, dass es der Menschheit zugute kommt. Dann könnte sich der berühmte Satz Armstrongs doch noch bewahrheiten!
Über den Autor:
Paul Andersson
ist Wahl-Münchner und versucht zusammen mit seiner Frau seine Kinder im kritischen Umgang mit den digitalen Medien zu erziehen. Sein Versagen auf diesem Gebiet wird er nun mit seinem ersten Buch – fortführen oder sühnen. Paul arbeitet seit über 20 Jahren erfolgreich in der Medien- und Internetbranche.
Nach dem Abitur schnupperte er mutig die Luft der neuen Bundesländer, wo er unter anderem Informatik und Journalismus studierte. Seine Kindheit verbrachte er noch offline mit Schnitzeljagden und Ballspielen. Das Licht der Welt erblickte er 1977 nördlich des Äppeläquators.
Alice im Neuland
von Paul Andersson (Autor),
Annamaria Papp-Ionescu (Illustratorin)
Gebundene Ausgabe: 156 Seiten, Fadenheftung
Auflage: 1
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-948576-00-4
Empfohlenes Alter: 7 - 99 Jahre
Größe: 21 x 21 cm
Preis: 23,00 €
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und in jeder Buchhandlung!
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Neil_Armstrong_small_step.wav
https://www.haz.de/Nachrichten/Wissen/Uebersicht/Der-Weg-zum-Mond-Als-Kennedy-ein-Ultimatum-stellte
Reinhard K. Sprenger, Die Entscheidung liegt bei dir!, S. 104
https://www.sixt.de/magazine/ratgeber/die-10-teuersten-autos-der-welt/
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