Editorial NACHHALL Nr. 40
Von der Zeche Zollverein, Bergbau und Energiewende, bis zur Terrorfinanzierung. Vom Euromaidan in der Ukraine bis zur Panik vor rechten Menschen, die die Demokratie zerstören - aber nur bei uns!
2019 habe ich naiv und übermütig den Verlag gegründet und mein erstes Buch unter Pseudonym geschrieben. Paul Andersson war geboren! Einerseits weil auch Lewis Carroll, der Autor von „Alice im Wunderland“ ein Pseudonym ist und andererseits, weil ich damit zum Ausdruck bringen wollte, etwas anders machen zu wollen, ein Sohn der Anderen zu sein und eben nichts „verkaufen“ zu wollen;-)
Die Anderen waren dabei für mich auch ein Synonym für Minderheiten. Die Demokratie hatte ich als Schutzraum für ebendiese Minderheiten kennengelernt. Eine Gesellschaft, in der Vielfalt, freie Meinung und Selbstbestimmung nicht nur geduldet, sondern gewünscht sind.
Mein „alter“ Name, der Name der immer noch in meinem Pass steht, rückt mich jetzt unverschuldet in „rechtes“ Licht und macht mich hundertprozentig verdächtig. Der „Andere“ hat nur drei Buchstaben am Ende mehr. Scheiße! Dabei kenne ich den Mann gar nicht und weiß nichts über seine Ansichten. Aber die Schlagzeilen und die mediale Kampagne hat hier eine Wiedergeburt Hitlers enttarnt. Einen wirklich teuflischen Plan. Googeln Sie mal „martin sell remigration“. Ist das schon Kontaktschuld?
Sehen Sie mir nach, dass das Potsdamer Geheimtreffen auch großen Raum im NACHHALL einnimmt. Und vielleicht verzeihen Sie mir dann auch ein etwas längeres Editorial, das ich „Gott sei Dank!“ unter dem angenehmen Pseudonym Paul Andersson schreiben und veröffentlichen kann. (Sie ahnen, dass ich unlängst den Film „Der Vorname“ (2018) von Sönke Wortmann im Fernsehen gesehen habe.)
Beginnen wollte ich diesen Text eigentlich dankbar und hoffnungsvoll. Trotzdem sehe ich den Riss in unserer Gesellschaft, der sich immer weiter öffnet und dabei auch länger wird. Die Multipolarität war wohl immer mehr eine Illusion und weniger Vision. Zu wenige, die die Ärmel hochgekrempelt und Hand angelegt haben, zu viele, die auf dem Sofa berieselt und versorgt waren. Jetzt drohen uns amerikanische Verhältnisse. Zwei unversöhnlich gegenüberstehende politische Lager, die sich mit allen Mitteln bekämpfen.
Zwei Themen sollten in diesem Nachhall einen roten Faden ergeben, der nun unsichtbar unter den Enthüllungen des Recherchenetzwerkes Correctiv verborgen bleibt. Die Zeche Zollverein, die als Sinnbild für den deutschen Bergbau auf dem Cover abgebildet ist.
Das andere Thema sollte 10 Jahre Euromaidan sein. Auf dem Blog von Petra Erler „Nachrichten einer Leuchtturmwärterin“ finden Sie dazu den Artikel: Ukrainische Neonazis, die Gewalt auf dem Maidan 2014 und warum die Verherrlichung von Bandera gefährlich ist. Leider hat Frau Erler mir nicht erlaubt, den Text im NACHHALL abzudrucken. Vielleicht finden sich noch Texte dazu (oder werden mir von Ihnen zugeschickt), die ich dann im nächsten und übernächsten Nachhall veröffentlichen kann.
Aber erst einmal zurück zum Bergbau ins Ruhrgebiet nach Essen. Von 1851 bis 1986 wurde dort Steinkohle gefördert, zeitweise bis zu 12.000 Tonnen pro Tag. Ab Ende der 1950er-Jahre wird die Kohle zunehmend durch billigeres Erdöl und später Erdgas ersetzt. Die Kosten für Stromproduktion und Wärmegewinnung sind das eine, die Unabhängigkeit von ausländischen Importen das andere. Die aktuelle Energiepolitik erscheint mir unlogisch und sie spaltet die Gesellschaft. Der Einfluss durch und die Abhängigkeit von arabischen Ländern wird mir zu selten thematisiert. Alles lupenreine Demokraten, mit denen wir sehr gerne milliardenschwere Geschäfte machen.
Es wird viel demonstriert dieser Tage. Wie demokratisch unser Strommix ist, das gerät in Anbetracht der ungeheuer großen Gefahr, die von Sellner und Höcke ausgeht, in Vergessenheit!
Bezahlen wir am Ende vielleicht die Waffen für Neonazis in der Ukraine, damit sie im Donbas Jagd auf prorussische Separatisten machen. Wieviel des Geldes für Gas und Öl landet via Katar und Iran indirekt bei der Hamas, damit sie die Juden endgültig vernichten kann? Und unsere Spenden für das UNRWA?
Bemerkenswert ist, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk das rechtsextreme Potenzial um das Asow-Regiment, Stepan Bandera & Co innerhalb der Ukraine kleinredet (z.B. hier: Deutschlandfunk: Rechtsextremisten in der Ukraine und ihr Einfluss im Land). Die von Putin geforderte „Entnazifizierung“ der Ukraine und seine „Sonderoperation“ dagegen als Propaganda abgetan wird.
Während sich das ganze Land über ein Geheimtreffen von rechten Menschen empört, unterstützen wir Nazis in der Ukraine und Antisemiten in der arabischen Welt. Ich habe lange gehadert und versucht, die beiden Kriege zu verstehen – und einen Vergleich oder eine Lösung zu entwickeln. Natürlich fehlt mir dazu das umfassende Wissen, aber ich habe ein Gefühl dafür, wo Erzählungen unlogisch sind. Ich versuche, zu verstehen, worum es eigentlich geht.
Im Donbas, wie auch im Gaza-Streifen, gibt es Separatisten; Menschen, die frei leben wollen. Von wem diese Separatisten unterstützt, sprich finanziert werden, ist auch unzweifelhaft. Beide wollen einen eigenen Staat oder zumindest Autonomie. Und es gibt Terroristen, vermutlich auch in beiden Gebieten.
Putin hat im Februar 2022 die Volksrepublik Lugansk und die Volksrepublik Donezk als eigenständige Staaten anerkannt und ihnen militärische Unterstützung versprochen. Stellen wir uns einmal vor, die Arabische Liga mit Katar, Saudi-Arabien und Ägypten würde Palästina als Staat anerkennen. Damit die Menschen dort frei leben können und auch ein Friedensabkommen mit Israel möglich wird, müssten sie die Terror-Herrschaft der Hamas beenden und das Land mit Soldaten und Panzern besetzen. Sie könnten die Grenze nach Israel sichern und Hilfsgüter über Ägypten und das Mittelmeer ins Land bringen. Würde Israel zurückschlagen und den „brutalen Angriffskrieg“ unnötig verlängern? Oder würde Israel ein Friedensangebot annehmen? Wie würde sich die UNO in diesem Fall verhalten? Würde die Arabische Liga Völkermord begehen, wenn sie die Terroristen im Gaza-Streifen bekämpft?
Was hat die Ukraine unternommen, um die Menschen im Donbas, die dort weiter ihre russische Sprache und Kultur pflegen wollten, zu schützen?
Weniger als zwei Tage nach dem Sieg der Euromaidan-Revolution beschloss das ukrainische Parlament in einer seiner ersten Amtshandlungen der Post-Janukowytsch-Ära mit einer knappen Mehrheit die Aufhebung des Sprachgesetzes. Die Förderung aller Minderheitensprachen, darunter nicht nur Russisch, hätte damit eingestellt werden sollen. Kritik an dieser Entscheidung gab es von Seiten Russlands, der OSZE, und des Europarats. Die Unruhen im Osten des Landes verschärften sich dadurch weiter. Wikipedia
Im März 2014 forderte der Europarat die neuen Behörden in Kiew auf, die Rechte nationaler Minderheiten, insbesondere der Krimtataren und Russen sowie ihre Sprachen zu schützen. Für mich ist weiterhin Erkennungszeichen jeder Demokratie die Förderung von Minderheiten und natürlich deren besonderer Schutz. In der Schweiz darf das Tessin Italienisch sprechen, Italien erlaubt den Südtirolern Deutsch zu sprechen. In Deutschland sehe ich Tendenzen, Minderheiten gnadenlos zu bekämpfen, um der vermeintlichen Mehrheit zum Sieg zu verhelfen. Ganze Bevölkerungsgruppen werden stigmatisiert und vom gesellschaftlichen Diskurs ausgeschlossen. Unser Feigenblatt ist die LGBTQ-Community. Israel achtet und fördert die arabische Sprache und Kultur selbstverständlich.
Im Straßenraum und an öffentlichen Gebäuden sind zweisprachige Schilder (hebräisch und arabisch) angebracht, auch die Etikettierung von Handelsprodukten wird oft in beiden Sprachen (zudem oft auf Englisch) vorgenommen; Bekanntmachungen der Regierung werden ins Arabische übersetzt. In jüdischen Schulen ist Arabisch ein Wahlpflichtfach. Wikipedia
Insofern müsste das Ziel ein palästinensischer Staat sein, der, finanziert von seinen arabischen Brüdern, auch Israelis eine Heimat oder zumindest ein sicheres Reiseziel sein kann. Bei uns sind selbstverständlich alle willkommen, die sich an Gesetz und Ordnung halten. Abgesehen natürlich von einem rechten Mensch, der 2024 ein Buch zum Thema „Remigration“ veröffentlicht (schon jetzt bei Amazon ein Bestseller). Diesem Mann sollen die Grundrechte entzogen und ein Einreiseverbot auferlegt werden. Wie viele Sympathisanten der Hamas bei uns wohl leben? (Bloß nicht abschieben.) Von den ukrainischen Kriegsflüchtlingen, die Bandera verehren, einmal abgesehen. (Fachkräftemangel.)
Die OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten) kämpften in der westlichen Ukraine nach dem 2. Weltkrieg weiter für einen ethnisch reinen ukrainischen Staat. Stepan Bandera lebte bis zu seinem Tod 1959 in Westdeutschland. Seine Partisanen, die Bandera-Fraktion der OUN (OUN-B) wurden von den USA als nützliche Helfer im Kampf gegen die Sowjetunion verwendet.
Das Grab des umstrittenen „Helden der Ukraine“ liegt praktisch vor meiner Haustür im Münchner Waldfriedhof. Ich spaziere öfter daran vorbei, die Verehrung durch seine Besucher ist augenfällig: ukrainische Flaggen, Kerzen, Blumen.
Bandera etwa gilt bis heute im russisch geprägten Osten der Ukraine als Kriegsverbrecher, Terrorist, Faschist, Antisemit und NS-Kollaborateur. Ebenso harsch sind die Einschätzungen in Polen und Russland. In sowjetischen Schulbüchern wurde er über Jahrzehnte als Vorzeigebösewicht dargestellt, verantwortlich - zumindest als geistiger Wegbereiter - für etliche Massaker der “Ukrainischen Aufständischen Armee” (UPA) an der polnischen Zivilbevölkerung während des Zweiten Weltkriegs. Der Spiegel, 2014
Während bei Hubert Aiwanger ein Flugblatt aus der Schulzeit für wochenlange Diskussionen und Schlagzeilen sorgte, wird die Rolle von nationalistischen und rechtsextremen Ansichten in der ukrainischen Bevölkerung, ihrer Führung und Armee nicht thematisiert. Als der Botschafter Andrii Melnyk 2015 Blumen an Banderas Grab niederlegte, war dies Anlass für eine parlamentarische Frage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE). Staatsminister Michael Roth antwortet am 06.05.2015 schriftlich darauf:
Die Bundesregierung verurteilt die von der Organisation Ukrainischer Nationalisten, OUN, teilweise unter Leitung Banderas begangenen Verbrechen an polnischen, jüdischen und ukrainischen Zivilisten und Amtsträgern. Dabei ist sie sich bewusst, dass ein erheblicher Anteil an diesen Verbrechen in Kollaboration mit deutschen Besatzungstruppen begangen wurde. Deutscher Bundestag
Auch wenn die Unabhängigkeit der Ukraine genauso wie ein eigener palästinensischer Staat zu unterstützen sind, dürfen beide keine „ethnisch reinen“ oder antidemokratischen Länder werden. Da müssen und dürfen wir Flagge zeigen – und haben eine historische Verantwortung! Und da stellt sich eben auch die Frage, wem wir Rohstoffe abkaufen und wem Waffen liefern. Eine Diskussion darüber und investigative Recherchen (Hallo Correctiv!) wären wünschenswert.
Dieses erweiterte Editorial soll anregen, sich noch einmal selbst zu befragen und den durch die Medien und die eigene Blase vorgegebenen Narrativen zu misstrauen. Natürlich sind Meinungsverschiedenheiten zu begrüßen. Aber der einfachen Linie der Regierungstreuen: Corona gefährlich, Impfung gut, Ukraine Opfer, Russland Agressor, AfD Verfassungsfeind, Israel heilig, Gaza teuflisch, Klima rettbar, Wohlstand verwaltbar, usw. darf nicht einfach plump das Gegenteil erwidert werden: Corona geplant, Impfungen gefährlich, Ukraine Nazis, Russland ehrlich, AfD wählbar, Israel Völkermord, Gaza Opfer, Klima Wurst, Wohlstand verloren.
Ich glaube und hoffe sehr, dass alle aufgeweckten Menschen Parallelen entdecken und nicht müde werden zu hinterfragen. Ja, ich weiß, es ist und bleibt mühselig – oft hilft ein Blick zurück vor die Aufregung/Panik/Kampagne, denn was damals galt, gilt zum Teil immer noch. Man darf sich nicht kirre machen lassen.
Bitte mehr „Maß und Mitte“ als „schwarz und weiß“! In diesem Bild bleibe ich ein Bunter und reite auf meinem Einhorn der aufgehenden Sonne entgegen …
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