Vom Ende her gedacht
Welche Erkenntnis mir zwei Kinderbücher geschenkt haben und was Open Source mit Troja zu tun hat?
Es ist eine unendliche Geschichte. Jeder Tag kommt neu und dennoch seit Jahrtausenden wiederkehrend. Die Grauen Herren stehlen uns unsere Zeit! Michael Endes Momo hat sie entdeckt – durch das Buch und den Film sind die „grauen Herren“ auch in meine Gedankenwelt eingestiegen.
Die Grauen Herren
„Ihr wißt ja gar nicht, was das ist, eure Zeit! Aber wir, wir wissen es. Und wir saugen euch aus bis auf die Knochen. [...] Ein mühseliges Geschäft, den Menschen ihre Stunden, Minuten und Sekunden abzuzapfen. Immer mehr und immer mehr! Denn auch wir werden mehr! Immer mehr! Immer mehr!“
— Ein Grauer Herr enthüllt Momo versehentlich die wahre Natur seiner Leute
Per E-Mail und Telegram erreichte mich gestern die Nachricht, dass sich Burkhard Müller-Ullrich von Achgut und seinem Podcast indubio trennt und unter dem Namen Kontrafunk einen eigenen Radiosender gegründet hat.
„Da ich mit der Firma Achgut Media GmbH leider keine Einigung über die geschäftlichen Modalitäten erzielen konnte, werde ich den Podcast Indubio, dessen Markenrechte ich nicht besitze, einstellen.
Für die Gründung des ersten Oppositions-Senders im ganzen deutschsprachigen Raum wird Ihre finanzielle Unterstützung doppelt wertvoll sein. (...) Sie können sich auch noch als Investor an der neuen Kontrafunk AG in der Schweiz beteiligen.“
Und da ist sie wieder, die unendliche Geschichte, die Wiederholung des immer gleichen, der unmerkliche Angriff der Grauen Herren. Mein Held ist mein Held, weil er gegen das Böse kämpft, gegen Konformismus und Kommerz. Und jetzt will er mein Geld, meine Zeit und „dem Bösen“ folgen.
Es ist das gleiche Unbehagen, das mich beschlich, als Gunnar Kaiser seinen T-Shirt-Shop vorstellte. Oder als auf Achgut und Reitschuster Werbebanner erschienen. Den eigentlichen Kampf, den all diese sehr verehrten alternativen Medien kämpfen, ist der Kampf um Aufmerksamkeit! Wer die Aufmerksamkeit im Internet erregt und damit Menschen an sich bindet, der verdient Geld. Je mehr Menschen länger zusehen und zuhören, umso mehr Geld bekommen die Macher von Google, Facebook und Co. – und manchmal auch von unsichtbaren Interessenvertretern.
Die Masche ist nicht neu und wird im Internet seit seinem Bestehen angewandt. Zuerst erscheint eine neue, ganz andere Plattform, die alles kostenlos anbietet und auf Werbung verzichtet. Die Plattform versucht die Menschen möglichst lange zum Verweilen auf ihrer Website zu bewegen, außerdem produziert sie eine unübersichtliche Menge an Content in Form von Texten, Videos oder eben Podcasts. Die Menschen geben gern, was ihnen kostenlos zur Verfügung steht, ihre Lebenszeit. Das neue Angebot muss nur ihre Bedürfnisse befriedigen.
Es gibt nichts geschenkt
Die Kostenlosmentalität des Internets treibt mich schon lange um. Im echten Leben bekomme ich kein Vergnügen und keinen Erkenntnisgewinn geschenkt, ich bezahle selbstverständlich dafür. Geld für eine Kinokarte, für den Eintritt ins Museum oder für ein gutes Buch. Der Preis hat dabei zwei Funktionen: zum einen bezahlt er die Macher, zum anderen zwingt er mich selbst aber zu einer Bewertung und Überprüfung des Angebots. Ist die Kugel Eis ihre 1,70 EUR wert oder kaufe ich lieber im Discounter das 10er Pack Eis-am-Stil? Will ich meinen Buchhändler zwei Blocks weiter unterstützen oder bestelle ich bequem online bei Amazon? Lausche ich Burkhard Müller-Ullrich im Radio oder mache ich lieber einen Ausflug mit der Familie in den Wald?
Ein wichtiges Kriterium für meine Entscheidung ist auch die persönliche Erfahrung vor Ort und die Frage, wer mein Geld bekommt. Ich unterstütze gerne den Einzelhandel, den Inhaber der Eisdiele oder die Lokalzeitung, weil sie sich hier vor Ort einmischen, das Stadtviertel prägen, Arbeitsplätze schaffen und der regionale Geldkreislauf so doppelt und dreifach wirken kann. Im Idealfall kenne ich den Unternehmer persönlich, oder seine Person wurde mir von Freunden oder Bekannten als zuverlässig und verantwortungsvoll empfohlen. An den Kundenschlangen, dem Umgang mit Mitarbeitern und dem Erscheinungsbild des Ladens kann ich echte Rückschlüsse auf den Erfolg des Geschäftes ziehen.
Im Internet stehe ich vor einem dicken schwarzen Vorhang. Die Stimme von Burkhard Müller-Ullrich klingt ehrlich und vertrauensvoll wie immer, aber ich sehe nicht durch. Wer steht noch alles hinter dem Vorhang? Und wieviele andere Zuhörer drängen sich vor dem Vorhang und lassen sich ihre begrenzte Zeit stehlen? Im Gedränge fühle ich mich nicht wohl und einem Millionär oder Grauen Herr schenke ich meine Aufmerksamkeit nicht!
Bevor ich mit meiner „Verschwörungstheorie“ fortfahre noch ein wichtiger Hinweis: Ich schätze Herrn Müller-Ullrich sehr und dies soll bitte nicht als Angriff auf seine Person missverstanden werden, vielmehr ist sein Fall exemplarisch zu lesen. Wenn ich gegen die Globalisierung anschreibe und den Kapitalismus kritisiere, beschuldige ich keine Eliten oder Personengruppen als Strippenzieher. Die soziale Marktwirtschaft und eine föderale Demokratie sind die besten Instrumente, die wir bisher kennen, um gut zu leben.
Geheimnis Open Source
„Open Source ist ein Begriff, der ursprünglich auf Open Source-Software (OSS) zurückgeht. Es handelt sich dabei um Code, der der Öffentlichkeit zugänglich ist, das heißt, jeder kann ihn anzeigen sowie nach Belieben verändern und verteilen.
Open Source Software wird dezentral und kollaborativ entwickelt und stützt sich auf Peer-Review und Community-Produktion.“
— Red Hat
Als Programmierer der ersten Stunde war ich großer Bewunderer der „Open Source“-Bewegung. In Teilen bin ich es immer noch, aber mit einem großen Fragezeichen? Ich will versuchen es zu erklären. Wie oben schon beschrieben, hat alles seine Kehrseite. Jede gute Medizin hat auch ihre Nebenwirkungen. Und wenn etwas auf den ersten Blick nichts kostet, kann es womöglich auch nichts wert sein. Oft ist es sogar ein Geschäftsmodell wie z.B. im Fall von Facebook, das zuerst als kostenlose Plattform für Studenten in den USA startete. Mark Zuckerberg versprach mehrfach, keine Werbung zu dulden, um später weltweit das Online-Anzeigengeschäft zu dominieren. Google hat mit seiner kostenlosen Suchmaschine ähnlich gehandelt.
Mein Fragezeichen ist auch eng mit der sogenannten Corona-Pandemie verbunden. In den ersten Stunden dieser neuartigen Viruserkrankung hat sich ein altbekannter Virologe zu Wort gemeldet. Christian Drosten hat drei bemerkenswerte Dinge gemacht, er hat seine Forschungsergebnisse zu SARS-CoV2-Virus online gestellt und die ganze Welt eingeladen diese zu verwenden (und zu prüfen). Außerdem hat er in einem Podcast mit dem NDR seine virologisch gut begründete Sichtweise der Pandemie einer großen deutschen Öffentlichkeit erklärt. Und drittens viel getwittert.
Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Mauls, sagt der Volksmund. Aus der griechischen Mythologie haben wir gelernt, dass mit einem Pferd als Geschenk der ärgste Feind leicht besiegt werden kann. Die Menschen holen es mit Jubelrufen in die Stadt und bezahlen diesen Leichtsinn mit ihrem Leben.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Programmierer gerne auf Open Source zurückgreifen, weil damit schnell Ergebnisse geliefert werden können. Es gibt nicht wenige sogenannte Programmierer, die in Wahrheit gar nicht programmieren können oder überhaupt verstehen, was sie da eigentlich machen, und einfach Open Source verwenden! Open Source verbreitet sich rasend schnell, weil sie ja kostenlos ist. Andererseits können viele den Code bearbeiten, ergänzen und so auch absichtlich oder unabsichtlich manipulieren.
Gleiches geschieht im kostenlosen online Lexikon Wikipedia. Es wird von sehr vielen genutzt und zitiert, weil es kostenlos ist. Die Community soll für die Richtigkeit sorgen. Aber wer sind diese Leute, welche Interessen vertreten sie, wer bezahlt sie und sind deshalb wirklich alle Artikel glaubwürdig?
Was geschieht gerade mit den Forschern und Wissenschaftlern rund um die Welt? Ist es das gleiche Phänomen? Es wird in guter Absicht etwas kostenlos online gestellt (PCR-Test von Drosten) und jeder verwendet es einfach? Man hört den Podcast und plappert ihn nach? Handeln Virologen anders als Programmierer? Ist Open Source Fluch oder Segen? Ja, wenn wir doch mehr Zeit hätten alles zu prüfen!
Zurück zum analogen Leben und der Eiscreme für 1,70 EUR. Wer heute selbstgemachtes Eis verkaufen möchte, muss sich die Zutaten besorgen und es selbst zusammenrühren. Dadurch, dass viele Menschen dieses Handwerk seit vielen Jahren ausüben, verbessern sich die Rezepte und auch die Herstellungsprozesse. Und das schmecke ich, deshalb ist mir jede Kugel den Preis wert.
Der Digitalisierung Herr werden
„Mit der Erhebung einer Schutzgebühr kann man sicherstellen, dass nur Personen, die ein tieferes Interesse an einer Sache haben, diese anfordern.“
— Wikipedia
Dieser Definition von Wikipedia könnte man noch einen zweiten Aspekt hinzufügen. Eine Schutzgebühr würde auch den Verbreiter einer Nachricht daran hindern, diese einem uninteressierten Personenkreis zugänglich machen zu können. Ich denke hier z.B. an die E-Mail-Flut, in der ich zu ertrinken drohe. SPAM wäre ganz einfach zu verhindern, wenn es mit einem Porto versehen würde. Auf meinem Briefkasten steht „keine kostenlose Werbung“ und schon hätte der Viagra- und Corona-Schnelltest und Mandy-von-Nebenan-Terror ein Ende. Wenn Burkhard Müller-Ullrich mich zu seinem neuen Radio einladen will, dann sollte ihm das 1, 2, oder 5 Cent wert sein!
Außerdem müsste mit der Steigerung der digitalen Reichweite die Transparenz eines Angebotes einhergehen. Auf Twitter, Telegram und auch in den Kommentaren seriöser Medien kann jeder Hinz und Kunz anonym seine Meinung kundtun. Selbst für interessierte Personen wird es aber zunehmend schwer auszuwählen. Der unendliche Wunsch nach Neuem gepaart mit dem Versprechen des Kostenlosen zieht uns in eine gefährliche Abhängigkeit.
Die Transparenz könnte durch einen kritischen Journalismus geschaffen werden und müsste von einer weitsichtigen Gesetzgebung gestützt werden. Wenn aber die Journalisten Teil des digitalen Systems werden und sich mit Verweildauer, Klickzahlen und Werbung bezahlen lassen, dann tragen sie nicht zur Lösung bei, sondern sind selbst das Problem. Wenn ich zu einem Arzt gehe, dann erwarte ich, dass dieser sein Fachgebiet studiert hat, sich regelmäßig fortbildet und eigene Erfahrungen im Umgang mit Patienten und Krankheiten gemacht hat. Aber im Internet kann jeder Programmierer, Journalist oder sonst was sein.
Ja, das Internet ist eine große Verheißung und eine unendliche Geschichte, in der man sich verlieren kann. Mit Hilfe von Google und Wikipedia kann ich mich in jede Thematik einarbeiten und mit Fleiß und Disziplin Millionär werden. Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst und gottfroh, dass ich noch unbekannt sein darf. Solange meine Leserschaft die Größenordnung eines Stammtisches oder eine Großfamilie nicht übersteigt, kann ich auch mal auf die „Kacke hauen“. Aber wenn mir 100.000 verzweifelte Menschen folgen, muss ich schon überlegen, ob dieser Text von allen richtig verstanden werden kann. Und vor allem, wohin das alles führt. Oder ist mir allein das Geld wichtiger?
Je weiter wir uns vom echten Leben entfernen, umso weniger können wir uns daran erinnern. Und so braucht es mutige Menschen, die mich immer wieder zur Umkehr mahnen! Manchmal sind es die eigenen Kinder: „Papa, kaufst du uns ein Eis?“ Oder: „Papa, liest du mir was vor?“ Den Kinderbuchautor Michael Ende kann ich sehr empfehlen und das Eis von der Konditorei Widmann. Überhaupt sollten wir alle uns mehr den Kindern zuwenden – und so sie und uns selbst vor den Grauen Herren schützen!
Nachdem ich den Artikel geschrieben und veröffentlicht hatte, schlug mir YouTube dieses Video vor. Mit Regionalwährungen wie z.B. dem Chiemgauer und dem BäRling hatte ich mich schon seit längerem beschäftigt, aber von Silvio Gesell hörte ich das erste Mal. Die Geschichte geht weiter…
Michael Ende (Momo) über Silvio Gesell und alternative Geldsysteme
Japanischer Fernsehfilm von 1996 in englischer Übersetzung mit zum Teil deutschen Interviews mit: Michael Ende, Hans-Christoph Binswanger, Margrit Kennedy, Wilfried Hiller, Hazel Henderson, Werner Onken, Bernard Lietaer. Über Silvio Gesell, Wörgl-Freigeld, Michael Unterguggenberger, Stamp Scrip Movement, Film „Momo“, Itaca Hours, döMak-Tauschring, WIR (Wirtschafts-Ring)
Soweit so gut. Statt google gehe ich immer über bing.com. Die merken sich nicht was ich anklicke. Und nebenbei haben sie jeden Tag ein schönes Bild aus Natur u.ä. So kann man auch kleine Freuden nutzen. Und ja, Kinderbücher und Märchen sagen viele Wahrheiten. Albert Einstein sagt: Willst Du kluge Kinder, lies ihnen Märchen vor. Willst Du noch klügere Kinder, lies ihnen noch mehr Märchen vor. - Ansonsten ist so vielerlei angesprochen, was ich nur aufnehmen kann, ohne Kommentar. Danke vielmals.