Alternativen für Neuland-Verbesserer
Erfahrungsbericht eines Vaters zum Distanzunterricht - Teil 5
Die E-Mail mit dem Betreff „Erhöhten Anzahl von MS-Teams-Sitzungen“ und der Mitteilung der Schule, dass unser Sohn der einzige bekannte Fall sei, der nicht an den Videokonferenzen teilnimmt, hat meiner Frau schlaflose Nächte bereitet. Wird unser Sohn jetzt den Anschluss verpassen, das Schuljahr wiederholen müssen? Der Rektor der Schule und der Klassenleiter hatten zwar versichert, dass unserem Sohn ganz bestimmt keine Nachteile entstehen würden und alle Lehrer angehalten seien, alles auch auf mebis (bayerische Lernplattform) zur Verfügung zu stellen. Der Alltag der letzten drei Wochen sah aber anders aus. Während in den Teams-Sitzungen auch neuer Stoff vermittelt wurde, gab es auf mebis nur unkommentierte Arbeitsblätter.
An dieser Stelle möchte ich nochmal auf meinen ersten Artikel zu dieser Thematik und meine Datenschutzbedenken erinnern. Mir geht es dabei gar nicht so sehr um Microsoft, sondern vielmehr um die verpassten Chancen, die den Schulen durch den Lockdown und die damit verbundene große Akzeptanz von digitalen Veränderungen, entgangen ist. Auch wenn sich wunderbare Verschwörungstheorien spinnen lassen würden, so sehe ich das Ausfüllen des Vakuums durch Microsoft als ganz natürlichen kapitalistischen Vorgang. Sich ergebende Möglichkeiten werden eben konsequent genutzt, zum Wohl der Aktionäre. Microsoft strebte schon immer nach dem Monopol in allen Geschäftsbereichen. Es waren und sind Gerichte, die dieses Streben immer wieder behindern. Auch die Politik ist sich dessen durchaus bewusst und so hat z.B. der Bundestag am 14. Januar ein Gesetz beschlossen, das die Macht von Internetkonzernen wie Amazon, Facebook und Co. eindämmen soll.
Nachdem nun die Schulschließungen über den 31.1.2021 hinaus verlängert wurden, habe ich vergangene Woche weiter recherchiert und herausgefunden, dass es sehr wohl möglich wäre, auch ohne Microsoft-Konto an Teams-Sitzungen teilzunehmen. Geht bei allen anderen Anbietern ja auch, bei Jitsi z.B. muss niemand ein Konto eröffnen. Der Link zum Meeting-Raum und ggf. ein Passwort reichen aus. Meine Erkenntnisse (MS-Teams: Teilnehmen ohne Konto) habe ich dann dem zuständigen Lehrer der Schule übermittelt. Der Lehrer schreibt prompt zurück:
Ich glaube, dass es in der edu-Variante, die uns die LHM-S zur Verfügung gestellt hat, nicht möglich ist, einen externen Partner in ein Meeting einzuladen. Gerne werde ich das aber überprüfen und bei der LHM-S dazu anfragen. Gleichfalls beantrage ich dort auch, dass dies möglich gemacht wird. Mehr kann ich in dieser Sache, wie Sie wissen, nicht für Sie tun.
Die Antwort kam prompt und wurde dann auch noch telefonisch bestätigt. In der edu-Version ist dies leider nicht möglich. Warum? Diese Frage darf mir Microsoft gerne persönlich beantworten. Ich werde weiterbohren. Aber wie ermöglichen wir unserem Sohn jetzt ein adäquates Lernen? Diesmal schrieb meine Frau und bat die Schule darum für das Kind ein MS-Konto zu eröffnen, nicht weil sie einverstanden sei, aber weil sie sich zum Wohl ihres Sohnes zu diesem Schritt gezwungen sah. Die Schule war diesmal vorsichtig und wünschte die Bestätigung, dass auch ich als Vater zustimmen würde. OK, meinetwegen! Während beim ersten Lockdown, das Kind ungefragt ein MS-Teams Konto bekam, war diesmal natürlich der rechtlich saubere Weg mit schriftlicher Einverständniserklärung notwendig.
Das gleiche Formular vom Frühjahr 2020 wurde uns erneut zur Unterschrift vorgelegt. Darin heißt es:
Einverständniserklärung zur Nutzung von Microsoft Teams for Education
...bietet die Schule dem Lehrerkollegium und den Schülerinnen den
temporären
Einsatz von Microsoft Teams for Education an.
Mit Microsoft Teams for Education wird
kurzfristig
ein unterstützendes Tool zur virtuellen Kommunikation und Zusammenarbeit zur Verfügung gestellt...
Der Einsatz von Microsoft Teams for Education ist lediglich eine temporäre Lösung, da eine Freigabe der Datenschutzbehörden für den Regelbetrieb nicht vorliegt und auch nicht in Aussicht steht.
Daher wird das Produkt nach der Krisensituation wieder abgeschaltet.
Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde. München rühmt sich als Deutschlands führender Standort der IT-, Software-, und Kommunikationsbranche. Während es unter hohem finanziellem Aufwand möglich war, die Pharmaindustrie zu Höchstleistungen anzutreiben und einen Impfstoff in Rekordzeit zu entwickeln, scheint es unmöglich, für unsere Kinder eine ordentliche „lokale“ Lösung bereitzustellen.
Das ist doch wirklich ein Skandal! Noch größer als die vergeigte Maut für Ausländer oder das Bauwunder BER. Da müssten doch alle beteiligten Minister sofort ohne Wenn und Aber die Verantwortung übernehmen - und ihren Hut auch. Es geht hier schließlich auch um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Die Alternativen zu MS-Teams sind ja vorhanden und erprobt. Außerdem kostengünstig da „Open Source“ und was vielleicht noch wichtiger ist dezentral und datenschutzkonform einzusetzen. Das Internet ist als dezentrales Netzwerk erfunden worden. Bereits beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 hat der Chaos Computer Club darauf hingewiesen, dass es am besten wäre, wenn jede Schule ihre eigenen Server und Systeme besitzen würde.
Der Chaos Computer Club (CCC) München hält die zentrale Infrastruktur für das größte Problem von Mebis. "Der CCC propagiert seit langem eine möglichst große Dezentralisierung. Jede Schule sollte am besten einen eigenen Server haben. Aber so greift ganz Bayern auf dasselbe Servercluster zu und wenn es dann eine DDoS-Attacke gibt, sind alle lahmgelegt", sagt "Gigo", der sich beim CCC München kritisch mit Fragen der Digitalisierung auch im Bereich der Bildung beschäftigt, zu BR24.
Acht Monate später klingt das unverändert:
Dabei wäre eine dezentrale Lösung zumindest mit einer Mebis-Komponente möglich. Mebis basiert auf der Open-Source-Lernplattform Moodle. Es wäre also möglich, Moodle auf lokalen Schulservern zu installieren. Diese Lösung hat ein Chaos-Computer Club-Mitglied schon im April im Gespräch mit BR24 vorgeschlagen.
Genau diese Open-Source-Lösung mit Moodle ergänzt um einen „Big Blue Button“-Server hatte der Elternbeirat auch unserer Schule vorgeschlagen. Die Finanzierung war durch den Bezirksausschuss gesichert. Die Rektorin einverstanden. Dann im Dezember 2020 kurz vor der erneuten Schulschließung kam die Ablehnung vom Sachaufwandsträger.
Egal. Vergessen, vorbei. Wie geht es nun mit unserem Sohn weiter? Wir warten seit einer Woche auf die Zugangsdaten für MS-Teams. In dieser Zeit wurden ca. 10 weitere Unterrichtseinheiten mit bis zu 90 Minuten online abgehalten. Wir bleiben dran und geben die Hoffnung nicht auf.
Je länger aber das Provisorium mit MS-Teams anhält, umso schwieriger wird wohl die Einführung einer dezentralen Lösung. Der Mensch bleibt ein Gewohnheitstier. Gerade auch bei Computerprogrammen sind die meisten extrem konservativ. Wenn eine Funktion nicht mehr das gleiche Icon hat oder sich an einer ungewohnten Stelle befindet, dann wird die Software scheinbar für viele unbedienbar. Faulheit siegt oft über Innovation.
Digitale Chancengleichheit
Der wichtigste Grund für den Einsatz von Open-Source in der Schule sehe ich aber in der Chancengleichheit. Wenn die Kinder von klein auf lernen, dass sie nicht MS-Office kaufen müssen um einen Brief zu schreiben, sondern dass sie kostenlos z.B. LibreOffice aus dem Internet herunterladen können, dann kann jedes Kind diese Programme produktiv und kreativ einsetzen. Es ist nämlich eine digitale Form der Diskriminierung z.B. Anhänge im Dateiformat „docx“ zu verschicken. Es ist mir ein Rätsel, warum Lehrer*innen und andere Verwaltungsangestellte Elternbriefe als Word-Dokument versenden müssen. Versteckte Werbung für eines der erfolgreichsten Unternehmen der Welt?
Auf meinem alten Fairphone kann ich die Doc-Dateien nicht öffnen, genauso mag es vielen digital benachteiligten Familien ergehen, die sich Microsoft 365 einfach nicht leisten können. Wenn ich so einen Elternbrief dann am Mac mit Pages öffne, liegt der Abschnitt, den ich unterschrieben an die Schule zurückgeben soll, hinter einer Grafik versteckt. Also wichtige Informationen am besten einfach direkt in die E-Mail hineinkopieren oder als PDF-Dokument im Anhang versenden. Nur wenn die Datei vom Empfänger bearbeitet werden soll, kann sie ganz einfach als OpenDocument-Text (Dateiendung .odt) gespeichert werden, das kann sogar Microsoft Word.
Man braucht auch kein Outlook, um E-Mails versenden zu können, so wie man kein Tempo braucht um sich die Nase zu putzen, es gibt günstigere (und bessere) Alternativen. Schüler sollten lernen, dass sie mit Open-Source-Programmen alles erreichen können, auch später im Studium oder in der Ausbildung. Open-Source-Programme können sogar noch viel mehr, sie können von jedem, der bei Google suchen kann, an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden. So könnte man den Jitsi-Server mit dem Logo der Schule auf der Willkommensseite ausstatten und den bei allen Schülern beliebten „Kick out“-Button verbergen. Die Meetingräume könnten wie der Grundriss der Klassenräume angezeigt werden - oder sogar als 360°-Tour durch das Schulhaus präsentiert werden.
Die Schüler lernen so die Macht kennen, die Programmierer heutzutage haben: sie können Aussehen und Funktionen von Programmen (Software/Apps) verändern. Niemand muss das Verhalten von Computern einfach hinnehmen, sondern wir sollten immer die Computer nach unseren Wünschen gestalten, sie sollen doch uns dienen.
Mit einer Backmischung kann jeder kinderleicht einen Kuchen backen, doch das Backen wird damit kein Kind lernen. Wenn es aber die Zutaten selbst zusammenmischt und merkt, wie sie verändert werden können, dann beginnt der kreative Prozess, das Verständnis vom Kuchen. Mehr oder weniger Butter, Eier oder keine Eier, viel oder wenig Zucker, all das beeinflusst das Ergebnis.
Ja, wenn es nur um das Funktionieren geht, ist MS-Teams vermutlich die beste Lösung. Aber wenn es auch darum geht, den Kindern etwas beizubringen, dann wäre es sehr wünschenswert, wenn man die Zutaten auf den Tisch legt und gemeinsam etwas Neues erschafft. Davon können die Schüler später noch ihren Kindern berichten. Und jeder kann es zu jeder Zeit nachmachen. Wenn so ein Kind ein Start-Up gründet und kein Geld für MS-Teams hat, dann baut es seine eigene Plattform, die vielleicht noch viel besser und erfolgreicher wird als das Original. So hat es Bill Gates (Microsoft) auch gemacht und sich Windows bei Steve Jobs (Apple) abgeschaut!
Alternativen zu MS-Teams
Jitsi Meet: kostenlose Videokonferenzen für jedermann
Moodle: Lernplattform
BigBlueButton: virtuellen Klassenzimmer
Nextcloud Hub: lokale Komplettlösung für Online-Zusammenarbeit
Alternativen zu MS-Office und Office 365
LibreOffice (Windows, macOS, Linux)
OpenOffice (Windows, macOS, Linux)
Alternativen zu MS-Outlook
Mozilla Thunderbird (Windows, macOS, Linux)
K-9 Mail (App für Android)