München, 11. Januar 2021
Beginnen wir das Jahr mit einer neuen Normalität: dem Distanzunterricht. Anstatt in mein Büro zu fahren, für das ich in der Münchner Innenstadt ordentlich Miete bezahle, versuche ich meinen Söhnen die Teilnahme am Unterricht zu ermöglichen. Erster Termin für meinen Drittklässler heute um 9 Uhr. Die Lehrerin schreibt uns per E-Mail:
„Zu den Meetings dürfen sich die Kinder ab 8.45 Uhr einloggen und bitte nicht früher.“
Wir sind pünktlich fünf Minuten vor 9 Uhr im Meeting. Mein PC, den ich als selbständiger Digitalunternehmer sonst für's Homeoffice nutze, ist erstmal belegt. Die Internetverbindung hält sehr gut. Fünf andere Kinder aus der Klasse meines Sohnes sind bereits da. Alle sehr diszipliniert, Mikrofone bleiben ausgeschaltet, es wird nicht gechattet. Die Lehrerin müsste stolz sein, wenn sie denn da wäre! Die Kinder sitzen vor den Computern. Wir Eltern warten im Hintergrund. Ich zumindest bräuchte den Rechner, um meiner Arbeit nachzugehen...
Um 20 Minuten nach Neun beende ich die Videokonferenz, die Lehrerin ist noch immer nicht erschienen. Die Teilnehmerzahl schwankte etwas zwischen 6 und 7 Kindern. Bei ungefähr fünf Kindern war die Geduld und die Übertragungsrate der heimischen Internetverbindung ausreichend. Alle anderen? Oder konnte der kostenlos nutzbare Dienst meet.jit.si den Ansturm bayerischer Grundschüler Montag morgen um 9 Uhr nicht standhalten? Wo die Server von meet.jit.si stehen und ob Amazon oder Microsoft als Hoster genutzt werden, ist nicht so einfach herauszufinden. Dabei gäbe es eine große Anzahl an deutschen Instanzen, die genauso genutzt werden könnten.
Bereits während des ersten Lockdown und dem Distanzunterricht hatte ich der Grundschule einen eigenen Jitsi-Server vorgeschlagen. Der Elternbeirat hatte sich mit großem Engagement um eine Finanzierung durch den Bezirksausschuss gekümmert. Das Projekt scheiterte dann im Dezember 2020, der Vositzende des Elternbeirates schrieb am 14.12.2020, Betreff: Antrag für IT abgelehnt.
(…) leider haben wir jetzt zum passenden Zeitpunkt eine Absage für Projekt erhalten, die Serverkapazitäten für Videokonferenzen zu verstärken.
Das Schulreferat der Stadt hat ein Veto eingelegt, dass jeglicher IT-Service/Hardware nur über den entsprechenden Lieferanten der Stadt bezogen werden darf. Auch wenn sie gerade in unserer Situation gar kein passendes Angebot kurzfristig in Aussicht stellen. Das ist sehr frustrierend. Damit kann der Bezirksausschuss den Antrag leider nicht genehmigen.
Also Videokonferenz der 3. Klasse abhaken. Zurück zur E-Mail und den Aufgaben der Lehrerin. Für Deutsch und Mathe sind PDF-Dokumente auszudrucken. Im Fach HSU (Heimat- und Sachunterricht) verweist die Lehrerin auf die Plattform Padlet. Dort sei alles bereitgestellt. Der erste Aufruf der Seite bringt eine leere Pinnwand, einige Minuten später kommt eine Fehlermeldung. Jetzt ist es 10:15 Uhr und die Pinnwand ist immer noch leer. Wieder wird ein kostenloser Dienst genutzt dessen Server nicht in Deutschland stehen. Die Computerzeitschrift Chip schreibt dazu:
„Da sich Padlet als US-Unternehmen nicht an die in Europa geltende DSGVO halten muss, können dennoch sensible Daten gespeichert werden. Dazu zählen neben den geteilten Inhalten die IP-Adressen der User oder gewisse Bewegungsprofile.“
Während ich also meinen zweiten Sohn mit einer missglückten Videokonferenz und zwei Arbeitsblättern abspeisen musste, hat mein erster Sohn sich bereits selbständig auf seinem Tablet in mebis eingewählt. Mebis ist die bayerische Lernplattform, allerdings immer noch so fehleranfällig, dass Kultusminister Piazolo selbst vor einer Nutzung am ersten Tag des Distanzunterrichtes abgeraten hat. Hilft aber nicht, auch ein Schüler der 6. Klasse hat Anspruch auf etwas Lernstoff oder Übungsmaterial. Zu Beginn schien mebis auch tatsächlich zu funktionieren. Aber viel hat mein Sohn nicht gefunden. Entweder haben die Lehrer noch nichts eingestellt, oder aber die Plattform ist so unübersichtlich, dass sich ein Schüler dort nicht selbständig zurechtfindet. Immerhin war er so klug einen Screenshot von den Mathematik-Aufgaben zu machen, denn kurze Zeit später war Mebis nicht mehr erreichbar.
Auch der Lehrer der 6. Klasse hatte eine E-Mail geschrieben und uns den Distanzunterricht der nächsten Tage und Wochen erläutert. In seiner E-Mail heißt es:
„Anbei finden Sie eine aktualisierte Übersicht zum Distanzlernen in der 6e. Daraus können die Kinder (und Sie) erkennen, welche Fächer jeweils an welchen Tagen Arbeitsaufträge auf mebis hochladen bzw. Unterricht über Teams abhalten.“
Und weiter schreibt der Lehrer:
„Falls mebis erneut überlastet sein sollte, lohnt sich evtl. auch ein Blick auf Teams, denn auch dort können im jeweiligen 'Fachkanal' Arbeitsaufträge gegeben werden oder auch Dateien hochgeladen werden. Grundsätzlich empfiehlt es sich, bei mebis auch mal außerhalb der Stoßzeiten vorbeizuschauen.“
Nun bin ich wirklich irritiert. Teams ist ein Service der Firma Microsoft. Die Süddeutsche Zeitung hat über den Einsatz von MS-Teams in Schulen berichtet:
„Zuletzt hatten die Datenschutzbeauftragten von Bayern, Baden-Württemberg, Saarland und Hessen erklärt, dass kein 'datenschutzkonformer Einsatz von Office 365 möglich ist'“.
In dem Artikel der SZ vom 29.10.2020 steht außerdem:
„Die Lizenz des Kultusministeriums, die seit Mitte Mai 716 Schulen abgeschlossen haben, läuft am 31. Oktober offiziell aus. Das Ministerium hat den Vertrag um einen Monat verlängert, aber spätestens Ende Dezember soll Schluss sein.“
Das Thema war schon beim Distanzlernen vor Weihnachten aufgekommen. Damals hatte ich mich auch beim Lehrer erkundigt. Wir haben für unseren Sohn keine Einverständniserklärung unterschrieben und es durfte somit kein Benutzerkonto bei Microsoft für ihn eingerichtet werden. Schließlich hat mir die Schulleitung am 17.12.2020 per E-Mail zugesichert:
„Es besteht, wie schon an anderer Stelle ausgeführt, für Ihren Sohn keine Verpflichtung an digitalen Sitzungen teilzunehmen, die in MS-Teams abgehalten werden.“
Wie soll ich das jetzt verstehen. Gibt es jetzt Distanzlernen oder Distanzunterricht? Wird in den angebotenen Videokonferenzen Stoff vermittelt, der dann meinem Sohn fehlt, weil er sich an geltendes Recht hält? Währen die bayerische Lernplattform auch nach einem halben Jahr nicht funktioniert? Weil unsere Politiker lieber einem Digitalkonzern ein Produkt abkaufen, das keinen pädagogischen Mehrwert bietet. Gleichzeitig werden 430 Millionen Euro Steuergelder für eine Bayern-Cloud-Schule bereitgestellt. Leider läuft für diese erst die "Anforderungsanalyse". Während sich Deutschland und die Medien über die Impfstrategie und Testpannen aufregen, wird über diesen Skandal und die Bildungsmisere geschwiegen.
In der Einverständniserklärung zur Nutzung von Microsoft Teams for Education steht:
„Der Einsatz von Microsoft Teams for Education ist lediglich eine temporäre Lösung, da
eine Freigabe der Datenschutzbehörden für den Regelbetrieb nicht vorliegt und auch nicht in Aussicht steht
. Daher wird das Produkt nach der Krisensituation wieder abgeschaltet.“
Stellt sich doch die Frage, wer ein Interesse daran hat, dass die Corona-Pandemie niemals endet? Warum bis heute an einer temporären Lösung festgehalten wird, bzw. diese immer weiter zementiert wird? Und schließlich warum es möglich ist, ein Produkt das gegen geltendes Recht verstößt im Unterricht einzusetzen, während man den Schülern beibringt, wie wichtig es ist sich zum Beispiel an die Straßenverkehrsordnung oder die Infektionsschutzverordnungen zu halten?
Lieber Martin, als Verantwortlicher für eine mittelgroße Schule in privater Trägerschaft bin ich entsetzt über diesen Beitrag. Zum einen, dass es in den staatlichen Schulen wohl immer noch so hakt, vor allem aber über die Art der Darstellung. Spätesten beim Satz "Stellt sich doch die Frage, wer ein Interesse daran hat, dass die Corona-Pandemie niemals endet?" stellen sich mir die Nackenhaare auf, weil das Verschwörungstheorie-Denken beflügelt. Ganz zu schweigen von fehlerhaften Fakten in dem Text. Wie leicht ist es, sich über etwas zu erheben, dass man selbst nicht zu verantworten hat, aber gerne selbst nutzt (das staatliche Schulsystem).
Sollen wir uns mal austauschen?
VG Clemens