Ehrfurcht vor dem Leben
Am nächsten Sonntag sind Landtagswahlen in Bayern. Zur Wahl stehen nicht nur Parteilisten, sondern auch Menschen, Männer und Frauen, die die Zukunft unseres Landes mitgestalten wollen.
Die Lebensläufe unserer PolitikerInnen sind voll von Stationen ihrer politischen Karrieren, manchmal steht auch etwas über ihren Familienstand darin, nebst der Anzahl evtl. vorhandener Kinder.
Was ich mir bis Freitag, 6. Oktober 2023 von meinen Kandidaten wünsche, ist eine Antwort auf die Frage: Wo (mit wem) waren Sie bei der Geburt Ihres Kindes und wo beim Sterben Ihrer Eltern oder Großeltern?
Ich hatte das große Glück, alle meine drei Kinder bei der Geburt zu begleiten und meiner Frau bei diesem schmerzhaften Prozess beizustehen. Was kann ein Mann dabei schon helfen, werden Sie sich fragen, in den meisten Fällen wird er, wie auch ich, medizinischer Laie sein. Soll die Geburt doch von den Experten „gemacht“ werden! Aber es gibt bei uns Menschen auch noch einen emotionalen Aspekt, und hier kann der Mann seiner geliebten Frau die Hand halten.
Warum scheint mir dieses Ereignis im Lebenslauf eines jeden Menschen ein Entscheidender zu sein? Bei der Geburt kommt neues Leben auf die Welt. Wie wir diesen Prozess erleben, begleiten und bewerten ist für jeden Menschen existenziell, und somit auch für die Zukunft unserer Gesellschaft. Wer diesen Augenblick erlebt hat und den ersten Schrei dieses kleinen, hilflosen Geschöpfes gehört hat, der weiß, was mit Ehrfurcht vor dem Leben gemeint sein kann.
Dieser neugeborene, kleine Mensch braucht die Liebe und den Schutz seiner Eltern. Allein wäre er nicht überlebensfähig. Politiker, die diesen Augenblick selbst erleben durften, sind vielleicht eher in der Lage, auch die aktuellen Probleme der Menschheit anzupacken. Ich wünsche mir Geburtsbegleiter, die in Liebe und Ehrfurcht vor allem Lebendigen Neues zulassen können. Die nächste Generation ist anders und muss anders sein, die Geburt eines Klons würde vielleicht dem Vater/der Mutter gefallen, hätte aber geringere Überlebenschancen. Vielfalt und Entwicklung sind Vokabeln dieser Ehrfurcht vor dem Leben, genauso wie Anpassung und Tod.
Kommen wir zum zweiten Teil meiner eingangs erwähnten Frage an die bayerischen PolitikerInnen. Es klingt brutal, aber ich sehe es als Glück. Ich durfte meinem Vater beim Sterben die Hand halten und den Abschied meiner Mutter von ihrem Ehemann begleiten, auch meine Geschwister waren da. Jeder von uns Menschen kommt auf die Welt und muss eines Tages von dieser Welt scheiden. Hierin sind sich alle Menschen gleich, dazwischen liegt das Leben.
Wie wir auf diese zwei einzigen, unvermeidbaren Ereignisse reagieren, sagt für mich sehr viel über jeden einzelnen Menschen, aber auch über uns als Gesellschaft aus. Haben wir Vertrauen oder Angst? Sehe ich in dem Neuen, das kommt, und in dem Alten, das geht, mich selbst oder den göttlichen Funken? Etwas, das die Welt verändern wird, sie bunter und glücklicher macht? Oder habe ich eine Heidenangst vor dem möglichen Kontrollverlust? Zumindest könnten wir auf beides mit großer Dankbarkeit reagieren. Keiner kann einen neuen Menschen machen und jedes noch so kurze Leben kann uns berühren.
Wir gehen wie Fischstäbchen durchs Leben, tiefgefroren und gleichförmig, umhüllt von einer dicken Panade des Wohlstandes. Geformt von Schule und Beruf, beschnitten durch Werbung und Unterhaltung. Nur ganz wenige von uns purzeln vom Fließband und fliegen als Schmetterling davon. Während wir braten und unserem Ende entgegen liegen, bewundern wir insgeheim die Aussteiger, Widerstandskämpfer und freien Seelen.
Natürlich kann auch ich nicht wissen, ob meine Fragen hilfreich sind, Politiker zu finden, die mutig Veränderungen begleiten und trotzdem ihre Ehrfurcht vor dem Leben bewahren können, aber wir hätten zumindest die Chance es herauszufinden. Also, liebe Kandidaten, lasst uns teilhaben an diesen zwei wichtigen Ereignissen in eurem Leben, bei denen ihr Geburt und Sterben selbst erleben durftet! Die Namen und Antworten auf die Frage werde ich hier am Ende des Textes veröffentlichen.
(Bitte leiten Sie den Text an Politiker weiter, die zu wählen Sie sich vorstellen können. Bitten Sie um Antwort bis zum 6.10.2023 an folgende E-Mail-Adresse: mail@paulandersson.com)
Erhaltene Antworten
Erich Utz, 1.10.20231
Lieber Paul,
vielen Dank für Ihre Initiative, die noch einen anderen Blickwinkel auf die Bewerberinnen und Bewerber für ein politisches Amt werfen und erkennen lassen, dass es sich dabei auch um Menschen handelt, die Freud und Leid innerhalb ihrer Familien erleben.
Ich kannte nur eine Großmutter und einen Großvater. Die Eltern meiner Mutter sind bereits vor meiner Geburt verstorben. An die Großmutter väterlicherseits kann ich mich nicht erinnern, da sie ein halbes Jahr nach meiner Geburt verstorben ist. Da kann ich auch nicht beantworten, wo ich da gerade gewesen bin. Der Vater meines Vaters ist gestorben als ich 10 Jahre alt war. Meine Eltern waren der Auffassung, dass es besser für mich sei, nicht dabei gewesen zu sein. Ich war zu dieser Zeit in der Schule und wusste auch nicht, dass meine Eltern im Krankenhaus beim Opa waren. Ich habe erst vom Tod erfahren, als meine Eltern am Nachmittag vom Krankenhaus zurück kamen. Ich war nicht nur traurig darüber. Ich habe mich auch sehr über meine Eltern geärgert, weil sie nicht zugelassen haben, mich von Opa zu verabschieden.
Beim Tod meiner Eltern war ich auch nicht dabei. Meine Mutter hat Suizid begangen als ich 25 Jahre alt war. Ich war zu diesem Zeitpunkt in einer Vorlesung an der Universität. Mein Vater ist an einem Asthmaanfall gestorben als er an seiner Arbeitsstelle auf der Toilette gewesen ist. Ich war zu diesem Zeitpunkt 37 Jahre alt und ebenfalls an meinem Arbeitsplatz.
Bei der Geburt meines Sohnes, als ich 42 Jahre alt gewesen bin, hatte ich das Glück, im Krankenhaus dabei gewesen zu sein. Das bleibt ein unvergessliches Erlebnis, was auch dazu geführt hat, dass ich als Vater, anders als in den Generationen zuvor, ein sehr viel innigeres Verhältnis zu meinem Kind aufbauen konnte.
Leider ist auch unser Kind im Alter von 17 Jahren bei einem Ausflug in den Berge abgestürzt und zu Tode gekommen. Ich war zu diesem Zeitpunkt dienstlich mit der Bahn unterwegs. Als Eltern seine Kinder zu verlieren, ist (aus meiner Sicht) das schlimmste was passieren kann.
Wenn Sie noch nähere Umstände erfahren wollen, können Sie mir gerne weitere Fragen stellen.
Freundlicher Gruß
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Erich Utz
Landtagsdirektkandidat für den Stimmbezirk München-Hadern
Platz 22 auf der Oberbayernliste der Partei DIE LINKE
Mitglied im Bezirksausschuss 7 für den Stadtbezirk Sendling-Westpark
Mitglied im Unterausschuss Mobilität und Wirtschaft
Mitglied im Unterausschuss Soziales und Kultur