Im Teil 1 und Teil 2 meines Erfahrungsberichtes aus dem harten Lockdown mit zwei schulpflichtigen Kindern, die im Distanzunterricht bestehen wollen, hatte ich von technischen Schwierigkeiten berichtet.
Bei den Videokonferenzen mit Jitsi in der 3. Klasse Grundschule, warteten einige Schüler in einem Meetingraum vergeblich auf die Lehrerin, weil diese einen fehlerhaften Link verschickt hatte.
Mein Sohn 6. Klasse konnte den AirPrint Drucker nicht finden, als er mit seinem brandneuen iPad Air der 4. Generation versuchte die Arbeitsblätter von mebis auszudrucken.
Beiden Herausforderungen habe ich mich als Diplom Ingenieur gestellt und dabei festgestellt, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Ich verstehe jetzt sehr gut, warum die Digitalisierung nicht nur Gewinner hervorbringt, sondern gerade bei Laien auch sehr viel Frust erzeugt. Dabei handelt es sich fast nie um ein technisches Problem, sondern meist um Verständnis- bzw. Kommunikationsschwiergkeiten. Für alle die noch die Bibel kenne, sei hier an den Turmbau zu Babel erinnert.
Kommen wir also zur Spitze der Evolution in Sachen digitales Spielzeug, dem Apple iPad! Viele Schüler träumen davon und viele Eltern meinen, dass wenn erstmal die ganze Schule mit solchen Geräten ausgestattet, automatisch auch die Zukunft ihres Nachwuchses gerettet sei. Funktionierendes WLAN vorausgesetzt.
Ich sehe die Sache etwas differenzierter. Meiner Meinung nach sollte ein iPad die letzte Wahl sein. Am billigsten wären kleine Mini-Computer wie der Raspberry Pi mit Open Source Betriebssystem (Linux-Distribution). Und was noch viel wichtiger ist, der Lerneffekt der Kinder und Nutzen für die Karriere wäre bei diesen Geräten am größten!
Was bedeutet AirPrint?
Wie bereits geschrieben, wollten mein Sohn und ich nur ein PDF-Dokument ausdrucken. Drucker im Netzwerk vorhanden. Tablet mit WLAN auch. Das Drucken-Symbol haben wir noch gefunden, doch dann erschien der Dialog: “AirPrint Drucker auswählen”. Was zum Teufel ist das schon wieder? Da Apple ja alles ein bisschen anders “cooler” benennt als die anderen Firmen, habe ich naiv erstmal gedacht, dass sich dahinter einfach ein Netzwerkdrucker verbergen würde. Da das iPad ja kabellos mit dem Netzwerk verbunden ist haben die Apple-Entwickler halt das Ding “AirPrint” genannt.
Aus meiner Mac-Vergangenheit kann ich mich an Bonjour-Drucker erinnern. Das klang auch irgendwie cool. Französisch. Wenn einem schon sonst niemand “Guten Tag” mehr wünscht, wenigstens der Drucker im Büro tut es. Ich selbst nutze im Homeoffice auch einen Mac, dort konnte ich ganz einfach den Netztwerkdrucker installieren. Also muss das doch mit einem neuen iOS auch gehen, oder?
Was jetzt folgte war die klassische Konsumfalle. Google fand nur Antworten, die meinen Geldbeutel schmälern sollten:
Schmeißen Sie doch endlich ihren alten Drucker zum Fenster raus und gönnen Sie sich ein neues Gerät. (Kaufen für die Müllhalde: Geplante Obsoleszenz, ARTE Dokumentarfilm)
Kaufen Sie sich eine der folgenden Apps, mit deren Hilfe können sie mehr oder weniger einfach drucken. (Bei einigen Verschlägen schien mir die Empfehlung wie ein Lotteriespiel.) Welche Drucker über welche Schnittstelle unterstützt werden, war nicht wirklich ersichtlich.
Bauen Sie sich einen eigenen AirPrint-Server mit einem Raspberry Pi. Oder kaufen Sie sich einen Router (alternativ NAS) mit eingebauten Printserver, der auch AirPrint unterstützt.
Die Idee mit dem Raspberry Pi hat mir wirklich gefallen, das wäre ein schönes Projekt für den Informatikunterricht. Mir fehlt da im Moment (mit drei Kindern, Distanzunterricht, eigene Firma) die Zeit und auch etwas Linux-Grundwissen. Wie aber schon oben geschrieben, halte ich diese Kompetenz für sehr wichtig, da sie die Kinder ermächtigt mit billiger Hardware und Anleitungen aus dem Internet ALLES (ja wirklich alles) zu bauen und jede digitale Herausforderung zu meistern!
Bei der Recherche nach brauchbaren Apps bin ich dann in irgendeinem Blog-Artikel über den Halbsatz gestolpert, dass ggf. auch Druckerhersteller solche Apps kostenfrei anbieten würden. Warum muss man nach dieser Information so lange suchen und sehr aufmerksam die Texte lesen? Weil Blogschreiber*innen von Werbeeinnahmen leben. Gute und günstige Tipps bringen keinen Gewinn. Ausführliche Testbeschreibungen von den 10 besten Drucker-Apps für iOS mit entsprechenden Partnerlinks zu den kostenpflichtigen Angeboten hingegen bringen 1. Aufmerksamkeit und lange Verweildauer auf der Blogseite, hinterlassen aber 2. auch ratlose Menschen, die sich dann aus purer Verzweiflung irgendeine App kaufen und installieren.
In unserem Fall haben wir die entsprechende App des Herstellers gefunden. Besonders gefallen hat mir, dass alle unterstützten Druckermodelle in der App-Beschreibung aufgeführt waren. Noch besser, dass es wirklich ganz einfach funktioniert hat. Mein Sohn kann jetzt nicht nur im Netzwerk drucken, er kann auch die bearbeiteten Arbeitsblätter gleich wieder mit seinem iPad einscannen und anschließen auf mebis hochladen.
Für diesen Schritt “digitale Abgabe der Hausaufgaben” hatten wir zwar schon beim ersten Lockdown im Frühjahr einen halbwegs praktikablen Weg erarbeitet. Allerdings war dazu immer mein Arbeitscomputer notwendig, oder ich musste das gescannte Dokument per E-Mail weiterleiten. Jetzt ist mein Sohn in Sachen Distanzunterricht erstmals wirklich autark;-) Die Lernplattform Mebis läuft seit den Startschwierigkeiten am Montag #Tag1 auch wirklich zuverlässig.
Wann stürzt der ganze Turm zusammen?
Mein Fairphone 1 funktioniert immer noch toll. Ich kann telefonieren und E-Mails lesen und versenden. Threema funktioniert auch, nur die Benachrichtigung über neu eingegangene Nachrichten nicht immer – was aber das Leben sehr entschleunigt. Aber die neue Corona-Warnapp kann ich nicht mehr installieren. Die Kreditkarte erfordert neuerdings eine Zwei-Faktor-Authentifizierung über die bankeigene App. Damit bin ich schon fast gezwungen ein neues Smartphone zu kaufen oder wieder auf Bargeld umzusteigen.
Hersteller begründen ihre inflationären Updates und angeblichen technischen Verbesserungen ja fast immer mit der Sicherheit. Außerdem wird oft eine bessere “User Experience” versprochen. So auch im Falle Apple und AirPrint. Nachhaltigkeit ist auch 2020 noch kein Thema. Solange mein Fairphone und der Drucker noch gut funktionieren würde ich diese gerne weiter nutzen können. Das wäre auch für die Umwelt am besten.
Wäre #Tag3 des Distanzunterrichtes nicht zufällig in den totalen Lockdown gefallen, wäre ich sehr wahrscheinlich beim Elektrofachhändler auf die Suche nach einem AirPrint kompatiblen Drucker gegangen. Was die Marketingabteilungen mit coolen Wortschöpfungen uns blumig verkaufen wollen, ist meist Althergebrachtes. Ein AirPrint-Drucker ist erstmal auch nur ein Drucker. Was nach technologischem Fortschritt aussehen soll, ist in Wahrheit oft nur Geschäftemacherei. Wie sonst dreht man dem “User” ein neues überteuertes Gerät an?
Der größte Betrug in dieser Sache war wohl das Label “HDready”, mit dem man naiven Käufern einen Fernseher für das neue HighDefinition Format verkaufte, bevor dieses überhaupt definiert und marktreif war. Viele Käufer dachten und denken immer noch, dass sie FullHD sehen. Aber HDready ist eben nicht FullHD, oder HD ist nicht gleich HD;-) Der Standart FullHD 1080p hat sich dann aber erst sehr viel später durchgesetzt. Jetzt passiert ähnliches mit 4K. Wozu und warum? Jedenfalls wird kaum ein User diese Experience wirklich erfahren können. Erklärung dazu könnte der Biologieunterricht liefern und Fakten zum menschlichen Auge.
Worauf ich hinauswill ist mit der Eingangs erwähnten Geschichte vom Turmbau zu Babel am besten beschrieben. Der Turmbau ist nicht an den technischen Möglichkeiten gescheitert, sondern an der Sprachverwirrung der Menschen. Auch unsere sich auf ewiges Wachstum stützende Gesellschaft muss sich diese Gefahr bewusst machen. Begriffe, die meist von Werbefachleuten ausgedacht werden, bleiben leere Worthülsen, wenn sie von den Menschen nicht verstanden werden. Da die Flut dieser “nicht verstandenen Modewörter” aber zunimmt, Fakten und Versprechungen nicht mehr unterscheidbar sind, überkommt jeden ein Gefühl von Hilflosigkeit.
Gleichzeitig verwendet jeder munter diese Begriffe, weil sie cool klingen, man progressiv sein will und sich damit auch irgendwie wie ein Fachmann fühlt. Besonders augenfällig, wenn man Kindern zuhört die den Werbekatalog ihres neuen Handys vorbeten: “Voll Mega, meine Handykamera hat 10 Megapixel Auflösung!”
“Und schonmal ein gutes Foto damit gemacht?”, würde ich dann gerne zurückfragen. Könnte der Kunstunterricht da nicht einmal praxisnahen Bezug nehmen? Die Anzahl an Fotos nimmt zu, aber ich habe das Gefühlt, dass die Wenigsten sich über Bildkomposition und Belichtung Gedanken machen. Auch die meisten Videokonferenzen sind in dieser Beziehung gruselig. Wir achten so sehr auf unser Äußeres, tragen Markenkleidung und stylen die Haare, aber vor unserer ultrascharfen 10 Megapixelkamera ist die Deckenlampe das Highlight des Bildes.
Ein Kameramann fasst zusammen und gibt ein paar gute Tipps: Das Jahr der grauenhaften Bilder
Bevor nach Corona alle Schüler in die Museen und Galerien strömen, um bei den großen Meistern zu lernen, kann man hier schon digital beginnen: Inside Bruegel und Bruegel - Once In A Lifetime. Ebenfalls unbedingt sehenswert der ARTE-Dokumentarfilm “Wachstum, was nun?”.
Wo steht der AirPrint Drucker?
Zitat:
»Die Anzahl an Fotos nimmt zu, aber ich habe das Gefühlt, dass die wenigstens sich über Bildkomposition und Belichtung Gedanken machen.«
Auch bei Ihnen die »Rächtschraipkorräkturfalle« ;-) (»die wenigstens« sollte wohl eher »die Wenigsten« heissen).
Abgesehen davon: Immer mehr Menschen können immer weniger. Als »alter« Fotograf (studierter Handwerker), der kein Photoshop für den Dreck im Netz braucht, kann ich ein Lied davon singen. Nur ist mir das egal, ich habe keine Lust mehr, meine restliche Lebenszeit damit zu vergeuden, gegen Dummheit anzukämpfen. Nach mir darf gern die Sintflut kommen, wenn Sie schon Babel erwähnt haben.